Ausgabe 06/2014
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§ 38a SGB XI Überblick Wohngruppenzuschlag

200 EUR ohne praktischen Wert?

Mit Einführung des Wohngruppenzuschlags von 200 EUR sollte den Pflegebedürftigen in ambulant betreuten Wohngruppen eine Leistung zur eigenverantwortlichen Verwendung für die Organisation und Sicherstellung der Pflege in der Wohngemeinschaft gewährt werden. Der Gesetzgeber wollte damit diese Versorgungsform stärken und berücksichtigen, da hier besondere Aufwendungen entstehen – so die Gesetzesbegründung.

  1. Einzelne Pflegekassen lehnten den Anspruch ab, wenn sie die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen rechtlich oder tatsächlich eingeschränkt sahen (§ 38a Abs.2 Satz 1 SGBXI). Versorgte nur ein ambulanter Pflegedienst alle WG-Bewohner, wurde bereits eine Einschränkung i. Sinne des Gesetzes unterstellt und die Leistung abgelehnt. Zwischenzeitlich sind derartige Ablehnungen Einzelfälle.

  2. Berliner Praxis: Hier zieht nun der Sozialhilfeträger die von der Pflegekasse bewilligten Leistungen (200,00 EUR) von den Leistungen der Hilfe zur Pflege ab. Der Umfang des Pflegebedarfs bleibt in voller Höhe anerkannt, wird nur nicht in voller Höhe bezahlt. Der Hilfebedürftige soll den Wohngruppenzuschlag für die Leistungen der Pflege einsetzen. Der Sozialhilfeträger sieht den Wohngruppenzuschlag als zweckidentische Leistung mit den Leistungen der Hilfe zur Pflege. Gestärkt wird diese Ansicht durch ein entsprechendes Rundschreiben der zuständigen Senatsverwaltung in Berlin.

    Das SG Berlin sieht dies jedoch anders. Mit Beschluss vom 26.05. 2014 (S 212 SO 850/14 ER) verpflichtete das SG Berlin das Bezirksamt Mitte vorläufig Hilfe zur Pflege ohne Anrechnung zu gewähren. Der Wohngruppenzuschlag dient nicht demselben Zweck und deckt nicht denselben Bedarf wie die Hilfe zur Pflege. Weder Sinn und Zweck noch die genaue Betrachtung der gewährten LK 19 und 38 (Berlin) stützen die Auffassung des Bezirksamtes. Das SG folgt der Gesetzesbegründung wonach das Ziel verfolgt wird, durch eine unbürokratische, pauschale Übernahme von Kosten, die bei der Versorgung mehrerer Pflegebedürftiger in einer Hausgemeinschaft entstehen, die häusliche Pflege zu stärken und Anreize zu geben, eine stationäre Hilfe zu vermeiden. Organisatorische und verwaltende Tätigkeiten müssen über die Pflege hinaus erbracht werden – daher ein eigenständiger Anspruch, der nur bei Vorliegen zusätzlicher struktureller Merkmale im Vergleich zur normalen häuslichen Pflege gegeben ist. GKV Spitzenverband und Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene äußern sich in einem gemeinsamen Rundscheiben ebenso.

    Für eine vorläufige Regelung durch das Sozialgericht ist jedoch nur ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben, wenn auch eine vertragliche Verpflichtung zwischen dem Pflegebedürftigen und der Präsenzkraft bzw. dem Pflegedienst, der die Präsenzkraft stellt, besteht.

    Abwegig ist die Auffassung, dass der Wohngruppenzuschlag bei betreuten Pflegebedürftigen voll zur Pflege als Einkommen einzusetzen ist, da der Betreuer organisatorische und verwaltende Tätigkeiten erbringen müsse und dafür die von der Pflegekasse gewährten 200 EUR nicht mehr zusätzlich benötigt werden. Der Betreuer übernimmt alle Tätigkeiten, die erforderlich sind um die Angelegenheiten des Betreuten nach Maßgabe des Gesetzes §§ 1896 ff. BGB r e c h t l i c h zu besorgen. Dies beinhaltet nicht zwangsläufig die vom PNG unterstützten organisatorischen und verwaltenden Tätigkeiten in einer Wohngruppe.

  3. Nach rückwirkender Bewilligung des Zuschlages durch die Pflegekassen forderten Sozialämter auch Leistungen der Hilfe zur Pflege für die Vergangenheit in Höhe von 200 EUR monatlich zurück und ordneten den Sofortvollzug an, so dass Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung hätten. Auch dem trat das SG Berlin auf Antrag eines Pflegebedürftigen mit Beschluss vom 17.03.2014 (S 184 SO 509/14 ER) entgegen. Das Sozialamt rechnete nämlich in der Vergangenheit die erbrachten Pflegeleistungen direkt mit dem Pflegedienst ab, so dass dem Pflegebedürftigen die möglicherweise überzahlten Beträge nicht (mehr) zur Verfügung stehen.

    Kurz: Der Pflegebedürftige Hilfeempfänger hatte das Geld zu keinem Zeitpunkt und kann es daher auch nicht zurückzahlen.

  4. Bereits am 17.01.2014 (S 6 P 166/13) hatte das SG Münster einen Wohn-gruppenzuschlag für eine pflegebedürftige Antragstellerin im Rahmen eines Familienverbundes zugesprochen. Der Ehemann und einer der im Haushalt lebenden Söhne waren ebenfalls pflegebedürftig. Ein Ausschluss von familiär verbundenen Pflegebedürftigen in einer Wohngruppe (Wohnung) ist mit Art.6 Abs.1 Grundgesetz nicht vereinbar, so das SG Münster.
  5. Das SG Halle hatte am 06.03.2014 (S 24 SO 223/13 ER) in einer ersten Entscheidung die Anrechnung des Wohngruppenzuschlags durch das Sozialamt untersagt. Dort war jedoch die Präsenzkraft nicht bei der versorgenden ambulanten Pflegeeinrichtung angestellt.

Besondere Bedeutung:

Die Entscheidung des SG Berlin vom 26.05.2014 (S 212 SO 850/14 ER) betrifft jedoch Aufwendungen einer Präsenzkraft, die bei dem versorgenden ambulanten Pflegedienst angestellt ist. Auch belässt das Sozialgericht mit dieser Entscheidung 50 EUR ohne Anrechnung bei der Antragstellerin zur freien Verfügung (Geburtstag in der WG, Ausflüge usw.) obwohl nur 150,00 EUR für die verwaltenden und organisatorischen Leistungen der Präsenzkraft an den Pflegedienst geschuldet waren.

Noch offen:

Bisher nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren Pflegefamilien mit pflegebedürftigen Kindern. Auch hier dürfte eine Anspruchsberechtigung bestehen, wenn mindestens drei Pflegebedürftige in der Pflegefamilie ambulant betreut werden und die übrigen Voraussetzungen nach § 38a SGB XI vorliegen.

Nach und nach können also die vom Gesetzgeber gewährten Leistungen des Wohngruppenzuschlags auch den pflegebedürftigen Sozialhilfeempfängern ohne Anrechnung auf die Hilfe zur Pflege verbleiben.

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